Zu den Luxusproblemen unserer Wohlstandsgesellschaft mit ihrer Wegwerfkultur zählt der Überfluss an Dingen, die weder gut, noch schön, noch nützlich sind. Besonders deutlich wird das beim Einkaufen. Der Modeindustrie fehlt das Bewusstsein für Ökologie und gerechten Welthandel und der Massenmode mangelt es zudem an gutem Geschmack und Kreativität, zumindest dort wo „Herren“ draufsteht. Anzüge, Schlabberjeans, Jogginganzüge und Camouflage-Hosen dominieren die Fast Fashion Läden, und auch im Second Hand Bereich scheine ich nicht der einzige Mann zu sein, der sich im Humana-Laden nicht für „Herren“ oder „Damen“, sondern für „Vintage“ entscheidet, wo dankenswerterweise mal nicht behauptet wird, dass ein Kleidungsstück wegen Blumenmustern, Pastellfarben, figurbetontem Schnitt oder der Anordnung der Knöpfe unter dem Label „Damenmode“ einzusortieren ist und die „Herren“ bitte weiter aus dem wenig kreativen Angebot für „gestandene Mannsbilder“ wählen müssen.

„Herren“-Mode-Schild über Angebot mit Damenunterwäsche
Mode für alle?
Mode für alle müsste natürlich ingesamt viel inklusiver sein als das Angebot des bisherigen Massenmarktes. Männer und Frauen, große und kleine, Dicke und Dünne, Menschen mit und ohne Beine, bei so einer großen Menge an Produkten sollte doch inzwischen für jede:n etwas dabei sein? Aber auf der einen Seite wird versucht, Menschen an Normen anzugleichen und in Kategorien zu zwängen, auf der anderen Seite wird das, was eigentlich für alle geeignet wäre, durch künstliche Unterscheidungen in verschiedene Marktsegmente aufgeteilt. Warum gibt es so wenig Unisex-Mode? Selbst nachhaltige Anbieter:innen unterteilen ihre Regale und Online-Shops fast immer in die Hauptkategorien „Men“ und „Women“, gelegentlich durch „Kids“ und „Vintage“ ergänzt. Aber warum?
Die ZEIT kritisierte schon vor einigen Jahren im Artikel Horrorspiele: Gender Marketing, dass nicht immer weniger, sondern immer mehr Produkte unnötigerweise nach Damen und Herren bzw. Mädchen und Jungen getrennt werden, in starkem Kontrast der gesellschaftlichen Megatrends von Gender Mainstreaming bzw. Non-Binary-Kultur jenseits der beiden biologischen Geschlechter. Als plausible Erklärung dieser Entwicklung wurde vermutet, dass auf diese Weise alles doppelt gekauft werden müsse, wenn das rosafarbene Monsterspielzeug eines Mädchens nicht zur Weitergabe an einen Jungen geeignet erscheint.
Die Modeindustrie funktioniert vielleicht ähnlich, so wie auch Trends gerne wechseln, damit ständig neues gekauft werden muss, sofern wir uns nicht durch die Konzentration auf zeitlose „Basics“ oder einen ganz individuellen Stil dieser Konsumlogik entziehen. Die „Basics“-Strategie hat den großen Nachteil der Langeweile. Mit zeitlosen Kollektionen aus nachhaltigen Stoffen und Farben ließen die Vorreiter:innen ökologischer Mode eine Marktnische dominieren, während sich die Masse von bunten Farben, Mustern und Materialen der schnelllebigen Fast Fashion anziehen ließ.
In den letzten Jahren hat die nachhaltige Modeszene nicht nur neue Marken und Stile, sondern vor allem auch neue Materialien entwickelt (unter anderem Lyocell aus dem zwar nachwachsenden, aber knappen Rohstoff Holz gewonnen) während gleichzeitig große Modekonzerne mit halbherzigen Greenwashing-Kampagnen begannen, einigen Kleidungsstücken Recyclingmaterialien wie gebrauchte Baumwolle oder Meeresplastik beizumischen. Diese bunte Mischung hat modisch einiges in Bewegung gebracht, jedoch wird gerade das Mischen von Stoff und Plastik zurecht kritisiert.
Kreislaufwirtschaft und Mischgewebe
Circular Fashion ist ein neues Schlagwort für die alte Idee, Kleidung weiterzugeben, anstatt sie ungenutzt im Kleiderschrank verstauben zu lassen, um sie später im Müll zu „entsorgen“. Second-Hand-Shops, Kleidertauschpartys und Online-Kleinanzeigen bieten zumindest theoretisch die Chance, das jedes Kleidungsstück dort landet, wo passt, erfreut und angezogen wird.
Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) ist natürlich kein Selbstläufer (Pertetuum mobile) und wird weder vollständig abfallfrei (Zero Waste). Die gute Nachricht für die Modeindustrie: wir werden weiterhin Neuware kaufen, aber bitte in guter Qualität, aus fairem Urpsrung, ökologisch, schadstofffrei, und recycling- bzw. upcycling-fähig.
Der Input in den nachhaltigen Kreislauf lässt noch zu wünschen übrig. Die Second-Hand-Szene wird dominiert von Damenmode aus Fast-Fashion-Läden. Nachhaltig ökologisch produzierte Marken sind selten, Männermode ebenfalls, und beides zusammen erst recht. Ist die nachhaltige Mode zu langlebig, hochpreisig und zeitlos, um sie jetzt schon aus zweiter Hand zu erwarten? Interessieren sich die meisten Männer immer noch wenig für Mode und tragen ihre Kleidung am liebsten so lange selbst, bis sie reif für den Restmüll ist? Spätestens an dieser Stelle wird das Thema Mischgewebe interessant.
Anstelle ausschweifender Ausholungen verweise ich hier auf den Artikel über Kleidungs-Recycling im Fairlier-Blog. Wenn die Kleidung nicht mehr getragen wird, sondern entweder umgenäht (Upcycling) oder „entsorgt“ wird, wird Mischgewebe zum Problem, und damit ist die Modebranche nicht allein. Handys und Umverpackungen werden ins Ausland exportiert, verbrannt oder vergraben, weil sich, trotz vermeintlicher Hochtechnologie (High Tech) die Materialien nicht gut genug trennen lassen, um sie für die Herstellung neuer Produkte zu verwenden. Je reiner die einzelnen Bestandteile bezüglich der verwendeten Materialien, umso besser würde auch eine Wiederverwertung (Recycling) gelingen.

Mann vor Schaufenster mit ökologischer Männermode (Loveco Store in Berlin-Kreuzberg)
Ein Hauptgrund für die Mischgewebe in der Mode scheint meiner Beobachtung nach der Stretch-Anteil zu sein. Alles, was nicht gleich als Oversized-Schlabberlook geschnitten ist, sondern figurbetonter sitzen soll, bekommt dehnbare Fasern beigemischt, dann ist es bequemer wenn man mal ein paar Kilo zunimmt und egaler ob der Schnitt tatsächlich gut zum Körper passt, denn wir reden immer noch über Massenmode von der Stange und nicht von maßgeschneiderten Alternativen. Wenn die Idee wenigstens funktionieren würde, aber meine persönliche Erfahrung mit Männermode endete oft im frustrierten Anprobieren sogenannter „Skinny Jeans“, die trotz dehnbaren Fasern aus Elasthan (ein Kunststoff, der dehnbarer als Gummi ist, aber vollständig künstlich erzeugt wird) saßen die meisten dieser Hosen an meinen Waden unangenehm eng, während sie gleichzeitig am Hintern schlabberten.
Unisex-Inspiration und (nicht nachhaltige?) Vernissage-Jeans
Dank der Unisex-Inspiration habe ich gleich mehrere enge Hosen gebraucht gekauft, die zwar nicht ökologisch nachhaltig produziert sind, aber immerhin Second Hand und schön figurbetont sitzen: eine klassische dunkelblaue Levis 501 Jeans ganz ohne elastisches Mischgewebe und eine hellblaue Hose der selben Marke (Levis 721) und ganz im Gegensatz zur ersten nicht nur eng anliegend, sondern auch extrem elastisch.
Diese Stretch-Hose passt mir deutlich besser als alle ähnlichen „Herren“-Jeans, die ich zwischenzeitlich anprobierte, betont Po und Beine und bietet aber noch ausreichend Bewegungsfreiheit. Es ist fast schon eine Vernissage-Jeans, in der man nur noch schön herumstehen und knackig aussehen kann, aber eben nur fast, denn die Beine sitzen bequem wie Leggins. Abgesehen vom ästhetischen Aspekt, ist das als androgyne Unisex Fashion auch ein Statement gegen modische Geschlechterklischees.

Schmale Beine, knackiger Po oder „kein Hintern“ in unterschiedlichen Second-Hand Levis Jeans
Ökologisch betrachtet hätten wir vielleicht eine Art Rebound-Effekt erreicht. Zwar können wir auf Mischgewebe und Mikroplastik verzichten, haben aber ein Kleidungsstück in der Garderobe, das nur zu wenigen Anlässen getragen wird und sich kaum zu Kleidertausch oder Verkauf auf dem Flohmarkt eignet, also ein Rückschritt bezüglich Circular Economy.
Andererseits könnte sich ein so perfekt passendes Lieblingsstück als langlebige Investition auch für die Umwelt auszahlen, zumal als zeitlose klassische Jeans, die nicht aus modischen Gründen vorzeitig ins Abseits gerät.
Schluss: austauschbare Reformkleidung, Upcycling und DIY
Praktisch, ökologisch und modisch geht nichts über weit geschnittene Kleidung ohne Materialmix. Damit greift der aktuelle urbane Street Style die Reformmode der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts auf, die im Kino und in Serien wie Babylon Berlin gefeiert werden.
Nachhaltige Neuware will bedacht und langlebig ausgewählt werden, Vielfalt zu kleinen Preisen liefern Second Hand und Flohmärkte, oder jenseits der Städte Vinted und Ebay-Kleinanzeigen oder eine privat organisierte Kleidertausch-Party.
Mein Wunsch an die Hersteller:innen nachhaltiger Kleidung: hört auf, Sachen zu produzieren, die weder mir noch anderen passen, beziehungsweise bietet eine ausreichende Vielfalt an Schnitten und Größen! Hört auf, Sachen zu produzieren, die im negativen Sinne austauschbar und zeitlos sind. Klassiker sind praktisch und langlebig, aber langweilige Basics sind noch keine Kollektion und sie bestärken bloß die Kritiker:innen in ihren Vorurteilen gegenüber ökologischer Mode. Das gleiche gilt für die Preise. Ausschließlich hochpreisige Ware anzubieten, mag wirtschaftlich klug sein, ist aber ein weiterer Grund, warum so viele Kund:innen weiterhin lieber in die Fast-Fashion-Läden gehen.
Kreative und handwerklich geschickte Menschen sollten diese Missstände des Modemarktes als Herausforderung annehmen und Kleidungsstücke schneidern und umschneidern, die es nirgendwo sonst zu kaufen gibt. Upcycling und Do-It-Yourself könnten jenseits von billiger Fast Fashion, langweiligen Öko-Basics ehrlich eine Lücke schließen.