Sinnsuche, Weltschmerz, Einsamkeit und Liebe, ob in Lagos oder Odessa, ob Girls, Gays oder junge Witwen, so haben doch alle Sommerbücher, die ich als Urlaubs- oder U-Bahn -Lektüre empfehle, einiges gemeinsam. Auch das: lies keine Klappentexte, wenn du dich gerne überraschenn lässt! Es ist aber auch eine Liste ganz unterschiedlicher neuer und alter Bücher. Alle versprechen sie Unterhaltung mit Tiefgang, jenseits von seichten Sommerromanzen und Urlaubskrimis!
Tödliche Ebbe der Bestsellerlisten
Beliebte Bestseller sind romantische Geschichten, Krimis, Thriller und leichte Unterhaltung über Sommer, Urlaub oder Reisen. Sommerkrimis und Romcoms mit Lokalkolorit und kulinarischen Kapiteln eignen sich als vielleicht als leichte Lektüre für Leseanfänger, aber auch denen würde ich eher ein Jugendbuch empfehlen, wo weniger Langeweile droht. Nicht ohne Grund werden Romane mit Titeleln wie „Tödliche Ebbe“ oder „Scones und Sehnsucht“ gerne im Lesetausch-Bücherregal entsorgt.
The Tiny Things are Heavier (Esther Ifesinachi Okonkwo)
The Tiny Things are Heavier hat bunte, lustige und liebevolle Passagen, ist aber keine leichte Lektüre. Mit melancholischem Tonfall begleiten wir die junge Sommy auf ihrem Weg von Lagos, Nigeria an die Universität von Iwoa, USA, und folgen ihrer Lebens- und Liebesgeschichte, ihrem Schmerz, ihrer Freude und ihrer Freundschaft. Da ist die alte afrikanische Nachbarschaft, die Sprüche ihrer Mama, modische Details wie Isi-Owu-Frisuren, Ankara- (Accra-Batik) und Aso-Oke-Stoffe, sowie musikalische und kulinarische Details und Leseempfehlungen von Tolstoi (Krieg und Frieden) über Chinua Achebe (Things Fall Apart) bis Octavia Butler. Das alles macht The Tiny Things are Heavier zu sehr viel mehr als „dem neuen Normal People“ (von Salley Rooney), als das es in Booktoks gefeiert wurde.
Wer sollte es lesen? Alle, die Realismus schätzen und die gerne neues entdecken oder bekanntes mit anderen Augen sehen!
Die Liebe an miesen Tagen (Ewald Arenz)
„Die Liebe an miesen Tagen“ (Love on Bad Days) wäre kein unpassender Titel für eine deutsche Ausgabe von The Tiny Things are Heavier, gäbe es nicht schon ein Buch mit diesem Namen. Als Sommerlektüre vielleicht nicht so nahliegend wie „der große Sommer“ desselben Autors, Ewald Arenz, aber gegenwärtiger und vielschichtiger als der nostalgische Jugendrückblick im „großen Sommer“. Auch „Die Liebe an miesen Tagen“ ist voller Details und Beobachtungen, schönen und lustigen Momenten und tiefen Schicksalsschlägen zwischen Hamburg und einer fiktiven süddeutschen Universitätsstadt.
Für wen ist das Buch? Wer schon Schicksalsschläge verkraften musste und bittersüße Sommer und Winter zwischen Liebe und Enttäsuchung, Lachen und Verzweiflung erlebte und sich seine Lebensfreude nicht von Zufällen und Widrigkeiten vermiesen lassen will. Wie der Titel schon sagt, ist auch das keine leichte Lektüre, wobei es hier nicht Coming of Age, Migration und gesellschaftlicher Struggle, sondern Familie, Krankheit und das Älterwerden sind, die die Hoffnungen und Träume der Protagonisten auf die Probe stellen.
Sommer in Odessa (Irina Kilimnik)
Das nächste Sommerbuch in meiner Liste ist Irina Kilimniks traurige, trotzige und schöne Coming-of-Age-Geschichte „Sommer in Odessa“. Die Berliner Autorin lebte selbst in Odessa, bis sie als Fünfzehnjährige nach Deutschland kam. Liebevolle Details von Strand und Hitze, Sommergewitter und Liebeskummer haben mich sofort in den Bann ihrer Geschichte gezogen.
„Der Abend ist lauwarm, das buttergelbe Licht der alten Straßenlaternen, die mit hängenden Blumenkörben geschmückt sind, leuchtet auf die Pflastersteine und läasst sie schimmern wie die Schuppen eines frisch gefangen Fischs.“ Olga lebt in Odessa, versucht widerwillig ihr ungeliebtes Studium abzuschließen und sinniert über ihre Familie , die Liebe, Freundschaft und Verrat. Ein Besucher aus Amerika ist nicht der einzige Grund dafür, dass die altbekannte Welt im Sommer 2014 Risse zeigt: „Die Stadt zieht an uns vorbei, mit ihren Problemen und Nöten, mit den schönen Häuserfassaden, hinter denen Angst und Unsicherheit lauern, und mit den Menschen, die ihre Nächsten gleichzeitig lieben und verraten.“
Warum lesen? Der Roman ist gleichermaßen geschichtlich und zeitlos, gleichermaßen jugendlich und universell. Obwohl auch hier Humor und Liebe manche Rückschläge erleiden müssen, ist Sommer in Odessa vielleicht die leichteste Lektüre in dieser Liste.
Oben in der Villa (William Somerset Maugham)
Oben in der Villa, mit Abstand das älteste Buch in dieser Liste, liest sich altmodischer als es wohl ist, denn die Bücher von Somerset Maugham wurden bestimmt nicht ohne Grund so oft erneut aufgelegt. Was euch erwartet? Kurzweilige Unterhaltung mit grotesken Überraschungen, Humor und ernsten Zwischentönen, die auch über 80 Jahre nach ihrem Erscheinen bloß auf den ersten Blick altbacken liest, und auch dieser Roman lässt sich gleichermaßen geschichtlich als auch zeitlos verstehen.
Den Autor hat mir meine Mutter vor vielen Jahren empfohlen, und während ich mit Auf Messers Schneide nicht so ganz warm wurde, lief mir diese sommerliche Alternative über den Weg.
Wer sollte das lesen? Alle, die Sisi und ich, Call me by your Name oder La Chimera im Kino gesehen haben und die retrofiktionalen Ästhetik dieser Filme noch vor Augen haben.
Call me by your Name (André Aciman)
Bücher wie Call me by your Name sind keine Geheimtips. Call me by your Name ist auch nicht „das Buch zum Film“, wie der Aufkleber auf dem Cover suggeriert, sondern war schon vorher da. Der Spielfilm mit dem damals noch unbekannten jungen Schauspieler Timothy Chalamet wurde zurecht für seine schönen Bilder und seine Atmosphäre gelobt. Über Elios einsame Tage in der heißen Sommersonne der Achtziger Jahre zwischen Familie, Freundin und dem wenig älteren Gaststudenten macht der Film zu wenig und das Buch zu viele Worte, beide zusammen ergänzen sich in meinen Augen perfekt. Aber hier soll es ja um Bücher gehen, und Call me by your Name ist immer noch ein lesenswerter Coming-of-Age-Roman.
Für wen ist das Buch? Ich empfehle es allen, die nicht schon der Anblick eines introvertierten intellektuellen Tagebuches gähnen müssen, und nicht nur denen, die selbst einmal queere Liebe oder die Sommerhitze in den Achtzigerjahren erlebt haben. Das Buch ist so viel mehr, denn da sind noch Elios Freundin Marzia, die Szene, wo er Klavier spielt, der diverse Besuch bei den gebildeten Eltern oder die köstlichen Ravioli von Mafalda, der Köchin und Haushälterin der Familie.
Zusammenfassung
Die folgenden fünf Bücher versprechen anspruchsvolle Unterhaltung:
- Esther Ifesinachi Okonkwo: The Tiny Things are Heavier (2025)
- Irina Kilimnik: Sommer in Odessa (2024)
- Ewald Arenz: Die Liebe an miesen Tagen (2023)
- André Aciman: Call me by your Name (2007)
- W. Somerset Maugham: Oben in der Villa (1941)
Fazit: Sommer ohne „tödliche Ebbe“ im Bücherregal
Es gibt gute Beststeller und schlechte. Die glaubhaft schlechten Titel „Tödliche Ebbe“ und „Scones und Sehnsucht“ wurden beide von ChatGPT erfunden, ebenso wie der letztlich unpassende ursprüngliche Arbeitstitel dieses Blogbeitrags, „sieben schöne Sommerbücher“. Weder wollte ich noch mehr alte Bücher nennen, noch hatte ich Zeit, noch mehr neue zu lesen. Abgesehen von spontanen Käufen, wenn mir auf Reisen anregende Lektüre ausgeht, nutze ich meinen leichten E-Book-Reader vor allem für Sachbücher und freue mich immer wieder über mal spannende und mal entspannende Momente mit großen gedruckten Büchern und neuen Notizbüchern abseits meines Computerbildschirms. Alle Fotos habe ich selbst gemacht und teilweise vorab auf Social Media geteilt, frierend im Frühsommer am See, später Schatten suchend im Hochsommer vorm Buchladen, und schließlich, mit allen empfohlenen Büchern auf einen Blick, auf dem Sofa.
Ich hoffe, bei meinen Leseempfehlungen war etwas gutes für dich dabei, ansonsten könnten sie dich dazu inspirieren, etwas anderes zu entdecken, denn auch 2025 sind wieder viele ganze unterschiedliche spannende und wichtige neue Bücher erschienen!