In letzter Zeit häufen sich die Beschwerden über soziale Netzwerke wie Instagram, TikTok und LinkedIn: sinkende Sichtbarkeit relevanter Inhalte, dysfunktionale Vorschläge und zunehmende Konzentration auf bezahlte Werbung und harmlose Tierbilder, oder aber kontroverse Hetze mit fehlender Faktenangabe.

Wie hart es mich nervt, dass meine Stories teils nur ein Zehntel ihres ursprünglichen Reach bekommen sobald ich etwas anderes als Cuteness teile…“ (Sophia Hoffmann, Köchin, Autorin und Gastronomin in Berlin)

„LinkedIn, danke für gar nichts ! Nach 2 Tagen 53 Impressionen von 23 Mitgliedern für einen Beitrag mit Bild. 𝗘𝗰𝗵𝘁𝗲𝗿 𝗪𝗔𝗛𝗡𝗦𝗜𝗡𝗡 !!! Das sind 𝟬,𝟮𝟴 𝗣𝗿𝗼𝘇𝗲𝗻𝘁 meiner Follower! Außerhalb dieses Kreises erreicht man ja sowieso niemanden hier. […] Wie ich mehrfach geantwortet habe, war es gar nicht geplant, dass dieser Beitrag viral geht. Ich verstehe auch immer noch nicht, warum das passiert ist. (Dr. Torsten Beyer, Autor, Speaker, Gründer der „Web, But Green!“ Academy)

„Nutzt du einen oder mehrere dieser Dienste: Whatsapp, Threads, Instagram, Facebook? Dann ist diese Meldung wichtig für dich: Meta Platforms füttert die Daten europäischer Kunden seiner KI. Wer nicht möchte, dass seine Daten auf diese Weise geerntet werden, muss ein Opt-Out in den Einstellungen seiner Konten vornehmen.“ (heise.de, geteilt von Nicole Wolf, Consultant & Speaker, auf LinkedIn)

Social Media Collage mit den obigen Zitaten

Auch LinkedIn füttert anscheinend unsere Daten, sofern wir es nicht davon ab(sch)alten, wie Alvaro Montoro erklärt (10 Settings to improve your LinkedIn experience).

Solche Probleme gibt es schon lange, schließlich sind soziale Netzwerke keine gemeinnützigen Organisationen, sondern gewinnorientierte Firmen. Aber zeitweise schien es einfacher, als Künsterlerin oder innovatives Startup neue Follower oder als interessierter Leser neue Inspiration zu erhalten. Instagram hat 2025 den bisherigen Faktencheck beendet und bereits zuvor ihre Algorithmen so verändert, dass Beiträge von Non-Profit-Organisationen zugunsten zahlender Werbekunden weniger Reichweite und Sichtbarkeit bekommen. (Quellen: Deutschlandfunk, Netzpolitik, Heise, Beobachtungen benachteiligter Organisationen, weitere Quellen im letzten Absatz: Quellen und Leseempfehlungen) Dass die Macht der Firmen und Algorithmen immer schlimmer wird, liegt auch an der sogenannten Broligarchie der amerikanischen Geschäftsführer mit ihrem Präsidenten.

Was bedeutet Broligarchie überhaupt?

Broligarchie, urprünglich ein Surfer-Wortspiel aus „Bro“ und „Oligarchie“, ist inzwischen auch Internet-Surfern als Kritik an toxischen Geschäftspraktiken und Absprachen bekannt, denn die heutigen Broligarchen sind leider Geschäftsführer und Politiker, deren Entscheidungen und Absprachen den Alltag von Millionen von Menschen beeinflussen. Konzernchefs wie Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg akquirieren innovative Startups wie WhatsApp oder Instagram und verbrüdern sich untereinander und mit einflussreichen Politikern. Dass „Meta“ nicht nur für eine dieser Firmen, sondern auch als Vorsilbe für übergeordnete Zusammenhänge steht, liegt die Wortschöpfung „Meta-Broligarchie“ nahe.

Aber „Meta-Broligarchie“ wäre insofern irreführend, als es von anderen Firmen ablenkt, die Teil dieser Entwicklung oder von ihr betroffen sind, auch wenn einst, wie bei Google, „tu nichts böses“ („don’t be evil“), ihr Motto war. Während Hardware, also Geräte, Geräteteile und Rohstoffe, ebenso wie Textilien und Medikamente, inzwischen größtenteils in Asien produziert werden, stammt die meiste Software, also Apps, Algorithmen, und Kommunikationssoftware, die wir in Europa benutzen, aus den USA. Viele dieser Softwareprodukte sind deshalb so beliebt, weil sie kostenlos und einfach zu haben sind, was den Verdacht nahelegt, dass das Geld durch Manipulation und Überwachung der kostenlosen Kundschaft erwirtschaftet wird, oder dass es am Ende gar nicht um Geld geht, sondern um Macht und politische Einflussnahme.

„Alternativen Fakten“ und Gaslighting in sozialen Netzwerken

„Alternative Fakten“, bewusste Falschaussagen und Bullshit-Behauptungen, die die Zuhörerschaft verwirren, lenken oft von wichtigeren Themen ab. Diese Taktik ist auch als Gaslighting bekannt. Früher wurden kritische politische Entscheidungen still und leise getroffen, während die Medien mit Sportereignissen wie Fußball oder Olympia beschäftigt waren. Später spotteten wir über Verbot oder Förderung von Glühbirnen und Plastikstrohhalmen und die versuchte Umbenennung des Golf von Mexico, während Dekrete mit weitreichenden Auswirkungen unterschreiben und ihre Helfershelfer vermeintlich ausländisch aussehende Kinder zur Abschiebung aus der Schule geholt werden und IT-Firmen Faktenchecks und Diversitätsförderung abschaffen, um den neuen Machthabern vorauseilend zu gehorchen.

Screenshots der Wikipedia-Seite zum Broligrachie-Begriff und der Ansicht des Golf von Mexiko bei Google Maps 2025

Open Mind Culture bedeutet zwar, zuzuhören und andere Meinungen und Ideen zur Kenntnis zu nehmen, aber Open Mind Culture bedeutet nicht, Lügen und Unfug als Fakten anzuerkennen. In diesem Blog versuche ich, aktuelle Themen möglichst allgemeingültig zu beschreiben, relevante Quellen zu verlinken, die nicht schon jeder kennt, und Menschen jenseits von tagesaktueller Parteipolitik zum Denken zu bewegen.

Alternativlose soziale Netzwerke?

Was wäre aber die Alternative zu Smartphones, Social Media und praktischen Alltagshelfern wie ChatGPT?

Kurzfristig gibt es keinen Ersatz für all das, ohne auf Vorteile, Erkenntnisgewinn und möglicherweise auch berufliche Chancen zu verzichten. Wenn nur einzelne Aktivistinnen und Aktivisten die Broligarchie und US-Technologie boykottieren, schaden sie sich vor allem erstmal selbst. Umgekehrt verändert sich schon jetzt vieles, und es entstehen Alternativen zu bisher bekannten Marken. Darunter andere kommerzielle wie Bluesky, das genau das sein will, was X vor Musk bzw. Twitter vor toxischen Hassspiralen war, oder Pinterest und LinkedIn, die es beide schon sehr lange gibt, die aber vom Niedergang von X/Twitter und die wachsende Unzufriedenheit mit Meta-Diensten wie Intagram und WhatsApp profitieren und an Beliebtheit gewinnen. Dies sind aktuell interessante Alternativen für Influencer und Content Creators, aber es bleiben Drittanbieter, deren Dienste wir kein bisschen unter Kontrolle haben.

Collage sozialer Netzwerke und Screenshot verlinkter Quellen

Einzelne soziale Netzwerke wurden bereits mehrfach in einzelnen Ländern blockiert: Facebook und Twitter in Russland und in der Türkei, TikTok in den USA.

Allison Morrow von CNN sieht Meta bei Instagram und Facebook weiter auf Trump-Kurs, ähnlich wie Musk Twitter zu X umgebaut hat, auf die Gefahr hin, dass sich auch hier Nutzer und Werbepartner massenhaft von der Plattform abwenden könnten und bisher unbeachtete Alternativen boomen. Während Musk Twitters finanziellen Niedergang verkraftet, hat Meta keine entsprechenden Geldreserven und nach erfolglosen Innovationsversuchen wie die 3d-Welt Metaverse und KI-generierte Social-Media-Nutzer schien Meta ohnehin schon im Niedergang. Cory Doctorow, Journalist und Aktivist der gemeinnützigen Electronic Frontier Foundation, vergleicht die Entwicklung mit dem ehemals populären MySpace, das heute nur noch ein „Zombie“ voller Werbemüll sei.

Es gibt also viele gute Gründe, uns nicht auf Dauer auf einzelne Social Media Plattformen zu verlassen.

IndieWeb: wie funktioniert das Fediversum?

Langfristig lautet die Antwort: IndieWeb! Das unabhängige Netz steht für private und gemeinwohlorientierte Webseiten und Netzwerke. Dazu zählen Mastodon und kompatible Server, die als weitere Alternative zu X und Bluesky auch als Fediversum (Fediverse) bezeichnet werden. Dazu gehören aber auch die klassische eigene Homepage mit WordPress oder anderen Content-Management-Systemen. Es gibt auch andere Fediverse-Server als Mastodon, z.B. digitalcourage.social. Alle sind miteinander vernetzt.

Außer dem eigentlichen „Fediversum“ gibt es auch Alternativen zu bekannten Videodiensten: Peertube zum Teilen von Videos und die Open-Source-Videokonferenz-Software Jitsi.

Im weitesten Sinne geht es um Unabhängigkeit und Dezentralität. Social Media soll nicht (mehr) käuflich sein und Daten sollen dem Allgemeinwohl zugute kommen.

Mastodon Fediverse Indieweb Collage

IndieWeb legt großen Wert auf Dezentralität, eine der Grundideen des Internets, die im Zuge der Kommerzialiserung an Bedeutung verloren hatte. Wichtig ist auch Diversität, also Vielfalt sowohl inhaltlich, als auch technologisch. Das bedeutet, dass wir uns nicht auf einzelne Anbieter oder Netzwerke verlassen sollten, sondern unterschiedliche Quellen zur Recherche, aber auch unterschiedliche Kanäle zum Veröffentlichen unserer Inhalte nutzen sollten. Das bedeutet aber auch, dass du selbst herausfinden musst, was für dich funktioniert und was nicht, und dass du es dir dabei nicht unnötig schwer machst.

Diversität beim Lesen und Schreiben

Idealerweise erscheint ein Beitrag zuerst auf der eigenen Website und wird dann, vollständig oder auszugsweise, auf anderen Kanälen geteilt. So erscheinen viele Artikel von Open Mind Culture später auf Medium, SubStack und DEV, bevor ich weitere Kanäle wie BlueSky, Mastodon, Tumblr, Hackernews, Reflecta, LinkedIn und Pinterest zur Bekanntmachung und Verbreitung verwende. Welche das für dich sind, hängt davon ob, was deine Freunde, Follower und potenzielle Kunden nutzen. Das kann auch YouTube, TikTok, Threads oder ein Fachforum sein, von dem ich noch niemals gehört habe.

Auch bei der Recherche gibt es, neben bekannten Empfehlungen wie Wikipedia, vor allem den Aufruf, das Denken nicht auszuschalten und nicht alles zu glauben, was im Internet steht, erst recht nicht, wenn es nur in sozialen Netzwerken oder von einer KI behauptet wird. Auch Blogartikel wie dieser sind subjektive Meinungsäußerungen, auch wenn ich einige meiner Behauptungen nun mit Fakten zu belegen versuche. Aber vielleicht findest du ja Studien, die das Gegenteil beweisen.

Quellen und Leseempfehlungen

Weitere Quellen, Studien und weiterführende Literaturtipps von 2024/2025:

The Verge: Welcome to the era of gangster tech regulation
The Guardian: ‘They’re hurting our children, our babies’: US schools on high alert amid Trump immigration raids
Netzpolitik: Stirb langsam – warum es mit X jetzt zuende geht
Springer Nature: The future of social media in marketing
Debbie Ohi: Why I’m on BlueSky
Meta Platforms füttert die Daten europäischer Kunden seiner KI
Alvaro Montoro: 10 Settings to improve your LinkedIn experience
Technology Magazine: The Impact of Meta’s New Policies on Social Media Worldwide
Jack Appleby: Let’s talk TikTok Bans, Twitter’s downfall, and 32 other predictions for the industry
What’s Coming in 2025: Insights Into the Future of Social Media by Fizza Zaheer
Demetri Ravanos: Rethinking Social Media
Deutschlandfunk Mediathek: Schluss mit X – Welche Info-Kanäle und Diskursräume braucht Wissenschaft? (Audio)
CNN: Zuckerberg’s MAGA turn insulates Meta for a while. But the business has bigger problems