Stille scheint einerseits gelobt und gesucht, zumindest wenn es um Achtsamkeit, Auszeit und ähnliches geht, andererseits scheint still unzeitgemäß und negativ konnotiert. Überspitzt formuliert, ist mal wieder verkehrt, egal was ich mache: rede ich viel, texte ich die anderen zu, höre ich zu oder bin mir selbst genug, bin ich der Stille, schüchterne, nachdenkliche, zögerliche, und all das oft eher negativ gemeint. Höhepunkt des Shamings der Sille: das „stille Kämmerlein“.

Gründlichkeit scheint nicht mehr in Mode

Gründlichkeit scheint ohnehin aus der Mode gekommen, wenn alles bloß gut genug sein soll um es zu verkaufen oder am Markt zu testen: Pramgatismus, Pareto-Prinzip, minimal lebensfähige Produkt-Prototypen (MVP) sind schön und wirklich gut, wenn sie sinnvoll eingesetzt werden. Auch ich lehne Perfektionismus ab, zumal der oft zu Fehlpriorisierung von Sekundärtugenden führt, sei es bei politisch korrekter Sprache, formal korrekter Programmierung (Clean Code) oder pixelgenauen Layouts. Aber wenn das Gegenteil von Gründlichkeit bedeutet, lieber schnell das falsche zu sagen anstelle mir Zeit zu nehmen, die richtige Antwort zu finden, dann lobe ich mir doch mein sogenanntes stilles Kämmerlein, in Wahrheit selten still, selten klein, und oft nicht mal bei mir zu Hause sondern unterwegs in Cafés, Eisenbahnwagen, Büchereien, Coworking-Spaces und manchmal tatsächlich unter freiem Himmel („Plein-Air-Programming“).

Wesentlichkeit, Prioritäten und nein sagen können

Was die Kritik am stillen Kämmerlein eigentlich sagen will ist: verzettele dich nicht mit unnötiger Detailverliebtheit, priorisiere das Wesentliche, schaffe sichtbare Resultate und das in kleinen, sichtbaren und messbaren Schritten. Priorisiere Aufgaben, die Geld bringen, dann Akquise, dann Marketing, und erst danach Weiterbildung, Forschung und Vorarbeit. Grundsätzlich mag das alles sinnvoll sein, aber wenn ich mich immer daran hielte, dann wären viele gute Ideen und so mancher meiner überraschend erfolgreichen Blogartikel vielleicht nie entstanden. Auch in bezahlten Aufgaben kann man sich Aufreiben und verzetteln, und wenn sie außer Geld nichts einbringen, ist es Zeit- und Energieverschwendung, sich überhaupt damit zu befassen. Das musste ich als Angestellter zu oft und zu lange tun, und auch als Selbstständiger hätte ich rückblickend besser ein paar mal öfter Nein gesagt.

Schluss: Stille?

So, nun fehlt noch ein Schlussabsatz, eine englische Version und die inhaltliche Optimierung, weil meine Blogartikel sich natürlich auch immer der Verwertungslogik des kapitalistischen Marketings unterwerfen müssen. Müssen sie? Nein, müssen sie nicht!

Dies war mein Plädoyer für das „stille Kämmerlein“, für die Stille, und dafür, sich Zeit zu nehmen, die richtige Antwort zu finden.

Mann mit Laptop und Strohhut auf einer ländlichen Wiese