Musikstreamingdienste sind wie süßer Pudding: anfangs sehr heiß, wenn sie noch neu sind, und für jeden Geschmack gibt es den passenden Pudding! Findest du dein Spotify Wrapped und Discover Weekly immer noch spannend oder ist dein Spotify Pudding schon abgekühlt? The Pudding.Cool ist auch der Name eines satirischen Magazins, deren alternative Musigeschmackanalyse „cool music taste“ ironisch verspottet. Das ganze geht immer noch ein wenig viral, Jahre nachdem ich hier über ihre Analyse meines eigenen Musikgeschmacks berichtete. Statistiken können ja lügen, besonders wenn du mit Spotify als Hobby-DJ für Freunde und Familie auflegst. Aber vielleicht fühlt du dich dennoch ertappt, also warum nicht mal selbst den Pudding Cool Soundcheck ausprobieren?
Wie schlecht ist mein Spotify?
Eigentlich ist das die falsche Frage. Frag nicht „wie schlecht ist mein Spotify,“ sondern „wie schlecht (oder böse) ist Spotify?“ Als weltweit beliebtester Musikstreamingdienst steht Spotify zunehmend in der Kritik, weil sie KI-Musik puschen, Künstler nicht fair bezahlen und wegen politischer und finanizeller Aktivitäten ihrer Manager. Spotify-Alternativen wie Qobuz oder Tidal funktionieren ähnlich und wir können unsere bestehenden Spotify-Playlists zu anderen Streaminganbietern umziehen, die oft auch kostenlose Probemonate anbieten.
In diesem Artikel geht es aber um andere Aspekte von Musikstreaming, vor allem wie es unseren Musikgeschmack beeinflusst.
Formt die profitable Musikindustrie unseren Musikgeschmack?
Wie schlecht ist unser Musikgeschmack und wer ist daran schuld? Manche sehen Streaming ernsthaft als Ersatz für fehlende Konzerte, gute Alben und Radiosender. Plattenfirmen schafften sich scheinbar selbst ab durch die Einführung digitaler Musik, doch es gibt immer noch eine Musikindustrie und sie macht mehr Geld als jemals zuvor (laut The Recording Industry Association of America’s annual report 2024) wobei Streaming den Großteil der Gewinne erwirtschaftet.
Die Musikindustrie verdient also immer mehr, während sie viele Mitarbeiter entlässt, ebenso wie Radiosender Stellen streichen für erfahrene DJs und Musikjournalisten. Die meisten Bands können von ihrer Musik nicht mehr leben, teilweise auch wegen KI-generiertem Kitsch. Ist der technologische Fortschritt also wieder mal falsch abgebogen? Ich glaube, es liegt nicht an der Technologie, sondern daran, wie wir sie in unserer kommerzialisierten Gesellschaft einsetzen.
Menschen lieben Musik
Warum hören Menschen überhaupt Musikaufnahmen? Viele Menschen singen nicht und spielen kein Instrument, aber Musik lieben sie trotzdem. Jeder hat bestimmte Lieder, die wir immer wieder hören können und die uns immer wieder Freude bereiten. Aber das sind nicht für jeden die gleichen Lieder. Das nennt sich Musikgeschmack. Leider wird selbst der beliebteste Song mit der Zeit langweilig oder nervig, sodass wir unseren Geschmack mit Entdeckungen kombinieren müssen. Das Konzept von Geschmack und Genres kann uns dabei helfen, neue Musik zu entdecken, die uns wahrscheinlich gefallen wird. Allerdings ist die heutige Musikszene abseits von Mainstream-Top-Popstars sehr vielfältig und fragmentiert.
Genre-ification: wie kann ich meinen Musikgeschmack analysieren?
Existieren musikalische Genres überhauupt und spielen sie eine Rolle? Wie hilfreich sind willkürliche Genrelisten wie die klassischen MP3-Kategorien mit Genres wie „Acid Punk“, „Lo-Fi“ und „Oldies“, oder Spotifys ständig wechselnden Mikro-Genres die aufkommende Trends gleichermaßen abbilden und mitgestalten mithilfe von Machine Learning und menschengemachter Kuratierung? Wer entscheideet, welche Genres wie heißen und welche Künstler sie repräsentieren? Verkaufszahlen, Anzahl der Hörer, ausgebildete Experten oder Algorithmen? Und wenn Algorithmen das regeln, kann ich sie trainieren und tunen?
Werden Streaming-Plattformen meine musikalischen Vorlieben respektieren?
Strategien für passendere Empfehlungen:
- Folge deinen Lieblingskünstlern.
- Bevorzuge handgemachte kuratierte Playlisten,
- benutze die Funktion „spiele Song Radio“.
- Erstelle eigene, kurze und stimmige Playlisten,
- höre sie häufig,
- mach ie offline verfügbar, um Energie zu sparen, und
- vermeide sogenanntes „Smart Shuffle“ und dessen kommerzielle Empfehlungen.
Doch selbst die besten Strategies zum Tunen deiner algorithmischen Musikempfehlungen können nicht verhindern, dass es irgendwann langweilig wird, nervt und sich wiederholt. Und so sehr wir uns um Unabhängigkeit bemühen mögen, werden Streamingdienste weiterhin versuchen, dir das gleiche „Radio Gaga“ anzubieten wie die meisten Radiosender.
Geschmacksspezifische vs. kuratierte Radio-Playlisten
Apropos Radio: ich habe früher viel BBC DJs gehört und auch heute gibt es noch viele Persönlichkeiten im Radio, wie das musikalische Quartett vom Soundcheck auf radio eins (Soundcheck – das musikalische Quartett). Aber leider wird es einige andere langjährige Sendungen wie „Happy Sad“ ab 2026 nicht mehr geben. Der Soundcheck hebt sich von den meisten anderen Formaten ab, weil hier in derselben Sendung abweichende Meinungen und Geschmäcker diskutiert und eine diverse Bandbreite musikalischer Alben vorgestellt werden, von den obskursten experimentellen Künstlern bis hin zu bekannten Popstars.
Es ist schon sinnvoll, sich alle Stücke auf einem Album in der von den Künstlern vorgesehenen Reihenfolge anzuhören. Auch Spotify-Playlisten anderer Hörer entfalten ihre eigentliche Bedeutung am besten ohne Shuffle und die eigene algorithmische Filterblase. Vielleicht sage ich so etwas bloß, weil ich alt bin und früher Musikkassetten aufgenommen habe, deren Reihenfolge gar nicht umsortierbar war. Ehrlich gesagt muss ich zugeben, Musik nur noch auf diese altmodische Weise anzuhören. Scheinbar hat das Musikstreaming mein musikalisches Alter schon manipuliert.
Was ist mein musikalisches Höralter?
Kennst du dein musikalisches Alter? Meins war dieses Jahr Zwanzig, glaubt man Spotify Wrapped. Aber wenn ich Spotifys järhliche Auswertungen und die von Pudding Cool über mehrere Jahre hinweg vergleiche, dann scheint sich mein Musikgeschack etwa alle zwei Jahre komplett zu verändern. Ein Radiomoderator berichtete, sein Spotify -Höralter sei 85, wahrscheinlich weil er gerne Delta Blues hört. Der konzeptionelle Fehler scheint offensichtlich. Die meisten über 80-jährigen, zumindest die, die ich kenne, benutzen gar keine Streamingdienste, aber viele junge Leute benutzen sie sehr viel.

Alterr ist nur eine Zahl? Musikalischen Höralter und ärztliches Tonaudiogramm
Der von Spotify erfundene Messwert ist vielleicht ein kreatives Wortspiel, aber es gibt tatsächlich ein medizinisches Höralter, das die Entwicklung des kindlichen Hörvermögens und altersbedingte Schwerhörigkeit beschreibt. Das Spotify’sche Höralter ergibt wenig Sinn und scheint zwischen sehr jungem und vermeintlich betagten Hörgewohnheiten zu polarisieren, das ergab zumindest eine nicht repräsentative Umfrage unter meinen Partygästen.
Verdirbt Spotify den Musikgeschmack?
Also: verschlimmert Spotify schlechten Musikgeschmack? Wäre es besser, ich würde nur noch Bandcamp hören und ausgewählte Vinyl-Alben aus dem Plattenladen? Ich glaube es geht weniger um das Medium als darum, wie wir es nutzen. Ja, wir sollten Bands auf Bandcamp und im echten Leben folgen, unsere örtlichen Plattenläden unterstützten und auf Live-Konzerte gehen. Wir sollten Bands und DJs für wichtige Events buchen. Dennoch möchte ich im Alltag nicht immer wieder die gleichen Alben hören. Am Ende gibt es sowieso kein objektives Maß von „gutem Musikgeschmack“. So etwas existiert einfach nicht, und „Analysen“ wie The Pudding’s Cool Spotify können uns daran erinnern, dass das Hören der richtigen Bands und der richtigen Art von Musik uns nicht zu besseren Menschen macht. Das kann uns auch ermutigen, unseren musikalischen Horizont zu erweitern und mit offenen Ohren ganz neue Musik zu entdecken. Aber, genau wie Spotifys jährliche Wrapped-Auswertung, ist jede Art von Statistik über Musikgeschmack oder musikalisches Alter bloß als augenzwinkernde Unterhaltung zu verstehen.
Künstler unterstützen und weniger toxisch streamen
Streamingdienste wie Spotify können uns inspirieren und uns dabei helfen, neue Musik im Rahmen unseren bestehenden Musikgeschmacks zu endecken. Aber sie können unseren Musikgeschmack auch verschlechtern und manipulieren, auch indem sie uns Fake-Bands unterjubeln, die mit KI erstellt wurden und keine faire Bezahlung verlangen, um ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Das sollten wir niemals vergessen!


