Spät, aber immer noch aktuell, eine Literaturempfehlung, an die ich oft denken muss, wenn ich mit einer Kaffeetasse in der Hand durch einen Raum gehe und mich sehr konzentriere, nichts zu verschütten. Angeblich ist das eines der lange unlösbaren Probleme der Robotik. Während die Wissenschaft Intellekt und Sprache inzwischen überraschend gut imitieren kann, mit scheinbar intelligenten Chatbots wie ChatGPT und Malereisoftware wie Midjourney oder Canvas Text-to-Image), bleiben nicht nur Gefühle, sondern auch körperliche Eleganz eine große Herausforderung. Technikbegeisterte und Traditionalist:innen streiten sich oft über irrelevante Krtiterien, ähnlich wie das gerade Halten einer Kaffeetasse, während wichtigere Argumente übersehen werden (vgl. Don’t be a Robot! „KI-Kunst“ und die Macht der Algorithmen). Wissenschaft und Politik kann ja auch sehr langweilig sein. Wie gut, dass die „Kleinkunst“ sich inzwischen auch solcher Themen annimmt, beispielsweise Marc-Uwe Kling.

coffee cups

Bekannt wurde Kling durch die Känguru-Chroniken, eine satirische Erzählung mit Wortwitz, Gesellschaftskritik, erzählt aus einer, immerhin selbstironischen und alternativen, aber dennoch ziemlich männermäßigen Perspektive mit Anspielungen auf Actionfilme, Rockmusik und akademische Pflichtlektüre. Die Langeweile, die die Low-Budget-Verfilmung hinterlässt, beweist aber vor allem eines: Marc-Uwe Kling ist ein großartiger Sprecher! Er liest seine eigenen Bücher live mit verschiedenen Stimmen, Tonlagen und Sprachmelodien, begleitet von einem einzelnen Gitarristen, und erst dann erschließt sich die Begeisterung – oder auch nicht: das Känguru polarisiert, ähnlich wie bei „Linkin Park, man muss sie lieben oder hassen“.

Qualityland ist ebenso politisch, hält sich aber zurück mit Marx und Kropotkin und parodiert stattdessen die moderne digitale Gesellschaft, mit deren Entstehen sich Deutschland derweil, mal aus den falschen, mal aus genau den richtigen Gründen, eine Menge Zeit lässt. Der Protagonist, Peter Arbeitsloser, steht im sozialen Ranking dieser First-World-Dystopie ganz unten, was seine Chancen im Beruf und in der Liebe stark beeinträchtigt. Während er sich mit Roboterwesen anfreundet, die er eigentlich verschrotten sollte, werben zwei Politiker um die Wählergunst, die beide auf ihre Weise unwählbar scheinen. Kandidat Koch verkörpert die vermeintlich konservativen, die Entwicklungen wie künstliche Intelligenz aus einer naiven Technologieskepsis heraus ablehnen. Der Gegenkandidat, John of Us, ist selbst ein künstliches Wesen, steht für progressive, inklusive Politik, lässt aber Empathie und Emotion vermissen und scheitert daran, eine Kaffeetasse zum Tisch zu tragen, ohne etwas zu verschütten. An diese Anspielung auf die Herausforderungen der Robotik muss ich allerdings oft denken, wenn ich selbst mal wieder sehr bemüht mit einer Kaffeetasse zum Tisch gehe.

Mit einem Artikel zum Thema habe ich gezögert, auch wegen der Klischeehaftigkeit und dem furchtbaren Film, und weil ich Qualityland 2 immer noch nicht gelesen habe. Aber dank der aktuellen KI-Debatte über Chatbots und andere Arten so genannter künstlicher Intelligenz, und der etwas älteren, aber ähnlichen Kontroverse über Algorithmen und soziale Medien, ist Qualityland immer noch eine hochaktuelles und amüsante Lektüre! Und der Begriff „asoziales Netzwerk“ war offenbar nicht meine eigene Erfindung gewesen. Qualityland 2 habe ich noch nicht gelsen, dazu werde ich vielleicht später einige Sätze ergänzen.

Besser als die Bücher, und besser als der enttäuschende erste Film, ist Marc-Uwe Kling, wie gesagt, Live auf der Bühne, alternativ auf Video oder als Hörbuch.